Small Fiber Neuropathie (SFN) ist eine Erkrankung, bei der die kleinsten, unmyelinisierten Nervenfasern des Körpers beschädigt sind. Diese sind zuständig für die Wahrnehmung von Schmerz, Temperatur und Druck sowie für die Steuerung des autonomen Nervensystems, also Funktionen wie Herzfrequenz, Schweissproduktion oder Verdauung. Patienten mit SFN leiden typischerweise unter Symptomen wie Brennen, Kribbeln oder Taubheit der Haut sowie an diversen Schmerzen. Meistens sind die Extremitäten (Füsse, Unterschenkel, Hände) betroffen – die SFN kann allerdings in allen Körperteilen auftreten. Die Diagnose wird durch eine Hautbiopsie und durch Tests des autonomen Nervensystems gestellt. Die Nervenleitgeschwindigkeiten der grossen Nerven sind bei der SFN normal. Zu den möglichen Ursachen zählen Diabetes, Vergiftungen, Autoimmun- und Bindegewebeerkrankungen, Infektionen wie Covid-19 sowie genetische Faktoren und weitere. Häufig bleibt die Ursache jedoch unklar (idiopathische SFN). Die Behandlung zielt in erster Linie auf die Linderung der Nervenschmerzen und die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung.
Symptome der SFN
Die folgenden Symptome können bei SFN vorkommen:
Nervenschmerzen
- Brennschmerzen, Kribbeln, Ameisenlaufen in Beinen oder Armen, Kälteschmerzen, Druckschmerzen, einschiessende Schmerzen, juckende Haut, Brennen der Zunge
- Leichte Berührungen, die unangenehm sind oder Schmerzen verursachen
- Bedürfnis, Beine oder Arme zu bewegen, um unangenehme Empfindungen oder Schmerzen zu lindern (= Restless legs syndrome [RLS])
Ungewöhnliche Empfindungen oder vermindertes Empfindungsvermögen
- Schwierigkeiten, Wärme von Kälte zu unterscheiden
- Taubheit oder verminderte Empfindungsfähigkeit der Haut
- Gefühl, dass sich etwas feucht anfühlt obwohl es trocken ist
Probleme mit Augen, Mund, Ohren, Schweisssekretion
- Trockene oder lichtempfindliche Augen. Mühe beim Fokussieren der Augen.
- Trockenheit von Mund, Rachen, Nase oder Haut
- Verletzungen der Mundschleimhaut oder Aphten im Mundraum
- Tinnitus oder Schwierigkeiten beim Hören
- Vermindertes oder übermässiges Schwitzen
- Überhitzung des Körpers bzw. Unverträglichkeit bei warmen Temperaturen oder starker Sonneneinstrahlung
- Verlust von Haare an Füssen oder Unterschenkeln
Muskeln und Gelenke
- Muskelschmerzen, Muskelschwäche, Muskelschwund
- Vibrationen eines Körperteils (Faszikulationen)
Magen-Darm-Trakt
- Verstopfung, Durchfall oder beides
- Schnelles Völlegefühl nach dem Essen oder starkes Aufblähen des Bauches
- Bauchschmerzen oder Bauchkrämpfe
- Übelkeit oder Erbrechen
- Appetitverlust oder Gewichtsverlust
Kognition
- Benommenheit, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten, Kopfschmerzen, kognitive Müdigkeit
Durchblutung
- Blasen oder Wunden an Füssen oder Händen
- Gefühl, nicht genug Blut im Kopf zu haben
- Schwindelgefühl beim Aufstehen oder Stehen. Ohnmachtsanfall.
- Abnormal starker Anstieg der Herzfrequenz beim Aufrichten des Körpers vom Liegen/Sitzen zum Stehen (= Postural orthostatic tachycardia syndrome [POTS])
- Müdigkeit
- Kopfschmerzen
- Farbveränderungen der Haut (z. B. bläulich, rötlich, oder weisslich)
- Schwellungen an Füssen, Händen oder im Gesicht
Diagnostik bei SFN
Die Diagnose der Small Fiber Neuropathie (SFN) erfordert spezialisierte Untersuchungen, da Schäden an den Small Fibers (C- und Aδ-Fasern) mit neurologischen Standardmethoden nicht erkannt werden können. Die folgende Auflistung führt ein vollkommenes diagnostisches Verfahren bei SFN auf, wenn ein Patient mit Polyneuropathie-Symptomen an eine neurologische Praxis überwiesen wird. Allerdings werden leider längst nicht alle diese Tests von neurologischen Kliniken angeboten.
- Detaillierte Befragung zu Symptomen und Verlauf: Befragung wann sich welche Symptome wie äussern. Erstes Auftreten und Verlauf der Symptome in der Vergangenheit.
- Klinische neurologische Untersuchung: Hierbei untersucht der Neurologe beim Patienten die folgenden Parameter: Gangbild, Gleichgewichtssinn, Empfindungsfähigkeit der Haut (Temperatur, Berührungen, Spitz/Stumpf-Diskrimination, etc.), Reflexe, Vibrationsempfinden, usw. Bei SFN können alle diese Parameter unauffällig sein oder einige davon abnormal ausfallen.
- Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten (NLG): Die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit untersucht die grossen myelinisierten Nervenfasern auf Schäden. Bei einer SFN fällt diese Messung unauffällig aus, denn beschädigte Small Fibers können damit nicht detektiert werden. Fällt die Nervenleitgeschwindigkeit bei einem oder mehreren grossen myelinisierten Nerven auffällig aus, dann handelt es sich um eine Large Fiber Neuropathie (LFN), was Polyneuropathie bedeutet. Bei Polyneuropathie haben die Patienten in der Regel immer auch SFN. Da in diesem Fall nun die Diagnose “Polyneuropathie” gestellt wurde, müssen nicht weitere spezialisierte Untersuchungen der Small Fibers unternommen werden. Als nächstes wird der Neurologe die Ursache der diagnostizierten Polyneuropathie zu suchen beginnen.
- Hautbiopsie: Die Hautbiopsie ist der Goldstandard zur Diagnosestellung einer SFN. Dabei wird eine Gewebeprobe der Haut mit Durchmesser von 4mm oberhalb des Knöchels und am Oberschenkel entnommen und unter dem Mikroskop die Anzahl der vorhandenen Small Fibers in der Gewebeprobe gezählt. Damit lässt sich die intraepidermalen Nervenfaserdichte (IENFD) der Small Fibers in der Haut des Patienten bestimmen. Bei SFN ist eine beträchtliche Anzahl der Small Fibers in der Haut zerstört. Eine reduzierte Nervenfaserdichte gilt als sicherer Beweis für eine SFN. Allerdings ist eine nicht reduzierte IENFD kein Beweis, dass keine SFN vorhanden ist. In diesem Fall ist es ratsam die Hautbiopsie in 1-2 Jahren zu wiederholen.
- Quantitative Sensorische Testung (QST): Der QST evaluiert die Funktion der sensorischen Small Fibers für Empfindung von Temperatur und Schmerz. Ist diese gestört, dann wird ein Schmerz entweder als zu stark oder als zu schwach wahrgenommen oder Temperatur wird nicht korrekt wahrgenommen.
- Funktionstests des autonomen Nervensystems: Das autonome Nervensystem wird von Small Fibers gesteuert. Deshalb besteht bei SFN meistens auch eine Neuropathie des autonomen Nervensystems.
- QSART (Quantitative Sudomotor Axon Reflex Test): Dieser Test misst die Schweissproduktion nach einer standardisierten elektrischen Stimulation der Haut. Ein vermindertes Schwitzen in den getesteten Hautbereichen weist auf eine Pathologie der Small Fibers hin.
- Skin Wrinkling Test: Dieser Test evaluiert – wie auch der QSART – die sudomotorische Funktion. Die sudomotorische Funktion bezeichnet die Fähigkeit des autonomen Nervensystems (also der Small Fibers), die Aktivität der Schweissdrüsen in der Haut zu steuern. Bei diesem Test werden die Handflächen oder Finger während 30 Minuten warmem Wasser ausgesetzt (alternativ kann auch eine andere Methode angewendet werden). Bei Gesunden bewirkt das Prozedere eine Aktivierung der Schweissdrüsen, die zu Faltenbildung der Haut führt. Sind die Small Fibers geschädigt, dann findet nur eine reduzierte oder gar keine Faltenbildung statt und die Haut bleibt glatt.
- Kipptisch-Test (Tilt Table Test): Der Kipptisch-Test überprüft die Reaktion des autonomen Nervensystems bei Lagewechsel des Körpers. Bei diesem Test wird der Patient an einen kippbaren Tisch geschnallt und von der liegenden in die aufrechte Position gebracht. Vor, während und nach dieser Kippung werden der Blutdruck und die Herzfrequenz kontinuierlich gemessen. Bei SFN verhält sich dabei Blutdruck und/oder Herzfrequenz abnormal. Bei SFN kann bei der Änderung in die aufrechte Lage z.B. der Blutdruck stark abfallen, da die zerstörten Small Fibers nicht in der Lage sind, die Blutgefässe korrekt zu regulieren.